CCTV. 2004

OSAKA PUBLIC, 2006

Osaka Public, 2005
Das sich in der Photographischen Sammlung befindliche, 12-teiligen Tableau Osaka Public / Osaka Private, 2006, geht auf von Katja Stuke in den Straßen von Osaka gedrehte Videos zurück. Zu sehen sind zumeist Passanten, die sich der medialen Beobachtung nicht bewusst sind. Den Bildern haftet eine gewisse Flüchtigkeit an, die Menschen befinden sich in Bewegung, einige sind nur als Rückenfiguren zu sehen. Stuke spielt mit ihrer Arbeit auch auf das Moment der Überwachungskameras an und erinnert daran, dass wir möglicherweise ungefragt und ungewollt einer medialen Kontrolle ausgeliefert sind.

Das Böhm Projekt SK Stiftung Kultur, photographische Sammlung Köln 2007
Könnte Sein 2004-2008
Hierfür kombiniert Stuke ihr eigenes Film-Foto-Material mit Szenen aus Filmen und Computerspielen. Schneller als man ahnt, verschwimmt die Grenze zwischen Realität und Fiktion. Die Bilder sind Fragmente aus Szenen, aus bewegten Momenten isoliert. Es spielt keine Rolle mehr, wer wen spielt, was tatsächlich passiert, was inszeniert und was komplett virtuell entstanden ist.

Katja Stuke, Könnte Sein
29 × 22 cm, 96 pages, 76 color plates, clothbound hardcover with a text by
Christoph Hochhäusler
Kodoji Press 2008
ISBN 978–3–03747–007–7
exhibited at:
2022 »Sammlungspräsentation« SK Stiftung Kultur, photographic Collection
2019 »Sequence as a Dialogue« Kunsthalle Gießen
2016 »Im Angesicht« Kunstmusem Bonn
2011 »Out House« Museum für Photographie Braunschweig
2010 »(Out of) Control« [G] Les Brasseurs Art Contemporain, BIP Liège
2008 »Beautiful World« Städt. Galerie im Haus der Kultur, Waldkraiburg
2007 »Mistigris – Contemporary German Photography« [G] Gallery at UTA University of Texas
2007 »Das Böhm Projekt« SK Stiftung Kultur, photographic Collection
2005 »Das soll Kunst sein« [G] Kunstverein Freiburg
2004 Oliver Sieber und Katja Stuke, Galerie Gaby Kraushaar
2004 Pingyao International Photo Festival China
2003 »Dokumentation« [G] Fotogalerie Wien
2003 »Wonderlands, Perspektiven aktueller Photographie« [G] Museum Küppersmühle Duisburg
PHOTONEWS
Es gibt ein Foto von Katja Stuke aus einem Projekt, das Jahre zurück liegt. Das Bild zeigt einen roten Vorhang, mehr eine Gardine, die einen winzigen Spalt breit geöffnet ist Dieses Bild symbolisiert nicht nur allgemein einen Beginn, von einer Vorstellung, Aufführung, Inszenierung o.ä. Es leitet ganz subtil über zu Stukes nachfolgenden Projekten.
Damals, 1999, bewegte, sie sich als wandelnde Ausstellung durch den öffentlichen Raum. Sie stellte nicht nur ihre Arbeiten, sondern gleich ihre ganze Person zur Schau. So konnte eine direkte Begegnung mit dem Betrachter stattfinden. Eine direkte Kommunikation wurde möglich,ohne den Filter eines Galeristen, Museums oder Magazins.
Im Laufe der Jahre hat sich der Fokus in Stukes Arbeiten bzw. in ihrer Art zu arbeiten gewandelt. Sie ist nicht mehr selber Teil des Projekts, der Inszenierung, sondern konzentriert sich auf ihr unbekannte Individuen. Der Zufall spielt eine große Rolle, ist aber so weit geplant, dass Stuke ihr Projekt nicht aus der Hand gibt. Sie observiert und selektiert ihre Umgebung bzw. das, was sie zu ihrer Umgebung, zum aktuellen Fokus ihres Interesses macht Die Portraitserie Olympia aus dem Jahr 2004 scheint fast wie eine Zwischenstation zu aktuelleren Projekten, Stuke fotografiert ihre Protagonistinnen vom TV-Bildschirm ab, wählt den Ausschnitt, der für sie interessant ist. Die im Close-up abgebildeten Turnerinnen wissen, dass alle Augen auf sie gerichtet sind, in der Halle und vor den Fernsehapparaten, Dennoch gelingt es ihnen, in völliger Konzentration in sich zu ruhen. Das Abfotografieren dieser Szenen vom Bildschirm ist die einzige Möglichkeit, so nah an diese Mädchen heran zu kommen. Das Abfilmen, in dem Fall allen bewusst, bietet eine fotografische Ebene, die tiefer ist als das, was man bei einer direkten Gegenüberstellung erreichen würde.
Der nächste Schritt in Stukes Fotografie gibt ihr noch mehr Kontrolle über ihre Arbeiten. Sie filmt selber und Selektiert später in ihrem Atelier die Szenen und Ausschnitte, die sie verwenden will. Durch das Abfotografieren vom Bildschirm bleibt der Videoeffekt, die Struktur des Bildschirms, erhalten und erweitert die Fotografie um eine neue Ebene.
Im Gegensatz zu „sich selber zur Schau stellen“ nutzt Stuke nun die Tatsache für sich aus, dass in unserer heutigen Zivilisation so gut wie alles überwacht wird oder werden soll» Die Menschen schauen sich nicht um auf der Straße, wenn sie aufgenommen werden. Sie merken es meist gar nicht. Stuke kann unauffällig in der Masse untergehen. Sie ist Teil der sie umgebenden Menschen und kann so unbemerkt Jeden aufnehmen, der ihren Weg kreuzt. Zunächst scheint dieses Vorgehen zufällig und wahllos, doch spätestens bei der Endauswahl in ihrem Atelier wird das Aufgenommene sortiert und konkretisiert.
Serien oder Gruppen von Bildern sind auch in ihrem Buch „Könnte sein“ auszumachen. Hierfür kombiniert Stuke ihr eigenes Film-Foto-Material mit Szenen aus Filmen und Computerspielen. Schneller als man ahnt, verschwimmt die Grenze zwischen Realität und Fiktion. Die Bilder sind Fragmente aus Szenen, aus bewegten Momenten isoliert. Es spielt keine Rolle mehr, wer wen spielt, was tatsächlich passiert, was inszeniert und was komplett virtuell entstanden ist.
Wo geht dieser Mann hin? Was hat er gerade gemacht? Eilt er zur Mittagspause? Oder geht er nach Hause? Könnte sein. Könnte sein, dass das Schicksal unsere Wege lenkt und uns wie an Fäden durchs Leben führt.
Warum sollen wir überwacht werden? Auf der Straße, in der U-Bahn, am liebsten noch bei der Arbeit? Fühlen wir uns dadurch sicherer? Oder haben wir noch mehrAngst? Nicht nur davor, dass schreckliche Vorahnungen Wirklichkeit werden, sondern dass wir unschuldig in das Spinnennetz dieser Maschinerie geraten.
Mit ihren Portraits von Hinterköpfen kehrt Stuke diese ganzen Intentionen ad absurdum. Was bringt eine Aufnahme von einem Hinterkopf, einer Mütze oder Kapuze, wenn die Person identifiziert werden soll? Der eingangs erwähnte rote Vorhang, der nur einen Spalt freigibt auf das, was dahinter verborgen ist, vereint diese Aspekte in einfachster Form. Man sieht etwas, doch eigentlich sieht man nichts. Es gibt nichts zu sehen, nichts zu erkennen oder zu erfahren. Alles fließt vorbei. In einem Tempo, das die Grenze zwischen Realität und Fiktion verwischt.
Das Cover des 96seitigen Buches „Könnte sein“ von Katja Stuke zeigt dann auch direkt eines der Hinterkopfportraits. Eine Person mit einem schwarzen Kapuzenpullover, er oder sie.wendet sich gerade zum Gehen. Auffällig ist der Strichcode, der sich direkt über der ISB-Nummer ungewöhnlicherweise auf der Vorderseite befindet und nicht versteckt auf dem Buchrücken. Hier beginnt sie schon, die Katalogisierung und Überwachung.
Nach wenigen Seiten taucht erneut ein Vorhang auf. Diesmal weiter geöffnet und halb transparent Auf der gegenüberliegenden Buchseite das Portrait einer Frau – von hinten. Da sind wir schon mittendrin im Geschehen, in der Verknüpfung der Welten, Die Frau aus dem Hitchcock Film fügt sich nahtlos an den Blick aus einem Fenster in Osaka. In der Realität könnten diese beiden Aufnahmen nicht weiter voneinander entfernt sein. Doch die Realität haben wir schon verlassen.
Wir sind unserem eigenen Urteilsvermögen überlassen. Könnte sein. Im weiteren Verlauf der ca, 80 Farbfotografien stößt man immer wieder auf solche Bildkombinationen, die zugleich überraschen und selbstverständlich sind. Ein umfangreicher Text von Christoph Hochhäusler und Textsammlungen von Katja Stuke unterstützen die Bilder, ergänzen das Visuelle ohne erklärend sein zu wollen.
Katja Stuke lebt in Düsseldorf, wo sie gemeinsam mit Oliver Sieber seit ca. 10 Jahren das unabhängige Fotomagazin Frau Böhm realisiert. „Könnte sein“ ist ihre erste Publikation beim Schweizer Verlag Kodoji Press. Verena Loewenhaupt
Christoph Hochhäusler, Regisseur:
Zum Beispiel: Ein junger Japaner im Mantel bläst ins Halbdunkel den Rauch einer Zigarette, die uns verborgen bleibt. In seiner Hand eine Dose, in den Ohren Kopfhörer, weiße Drähte, die im Innern seines Jacketts verschwinden, an der Krawatte vorbei. Er ist einer, der wartet. Einer, der sich verschließt: die Augen gesenkt, im Mund das Gemisch aus Softdrink und Rauch, im Ohr akustischer Ersatz. Er kann uns nicht hören. Der Rauch verunklärt sein Gesicht, lässt die eine Hälfte mit dem schmutzig weiß überstrahlenden Hintergrund verschwimmen. Ein Videobild, nein, ein Bild von einem Videobild: Die angegriffenen Konturen, das „kranke Blau“, der Vorhang der Zeilen. Entwirklicht. Der Moment, den Stuke wählt, ist kein gesehener.
Der Moment ist technisch, aus der Phase genommen. Ein Bild aus dem Strom. Ein doppelt medialisierter Augenblick. Eine Wirklichkeit, zu der kein Weg zurückführt. Alles an dem Mann ist bereit zur Veränderung. Gefährdete Gegenwart. Gefährdet auch durch unsere Aneignung. Dieses „Noch nicht” des jungen Japaners ist typisch für Stukes Personal. Sie versammelt Agenten einer Halbwelt, die sich im Kontext unserer Gedanken verwirklichen möchten. Es geht um eine Ästhetik der Latenz, die den Betrachter zum Antizipator macht. Die Bilder ernähren sich von unserer Deutung. Ihre Neutralität muss verletzt werden. „Was ist geschehen?” „Was denkt er?” „Wohin geht sie?” „Erkennt er sie?” „Wie weiter?”
Stukes Bilder setzen sich in unserem Kopf in Bewegung. Sie befinden sich im Fluss, dazwischen.
„Könnte sein” nennt Stuke ihre Bilderfolge. „Könnte sein”, das heißt: es gibt nur vorläufige Ergebnisse. „Könnte sein” das meint die Wirkung-Ursache-Romanze, zu der wir unser Leben fälschen. Wir kennen nie den ganzen Zusammenhang.
Vielleicht ist das Wesentliche immer schon geschehen? Oder geschieht immer dann, wenn wir blinzeln, abgelenkt sind, schlafen. Rekonstruktion ist unser Schicksal. Deshalb ist Stukes Konjunktiv eine Provokation. Vielleicht war alles anders? Könnte sein.
Was ist wirklich? Jedes Bild stellt diese Frage, jeder Satz, vielleicht jede menschliche Regung. Jeder Versuch einer Antwort ist persönlich, oder besser: eine Frage der eigenen Gegebenheiten, unwillkürlich. Die Antwort wohnt in uns. Wir sind die Antwort. Und zugleich bleibt alles in der Schwebe. Leben und Vorstellung berühren sich nur scheinbar. Wir produzieren Vorstellung, und so beweist sie sich. Wie könnten wir je unseren eigenen Zusammenhang verlassen? Wir sind immer Partei.
Darum also sind wir so versessen auf Bilder. Süchtig. Die Idee von Gegenwart soll sich konkretisieren. Die Zeit soll plan, soll Fläche werden, auf der wir uns bewegen können. Der Augenblick als eine Eisbahn, auf der wir Bahnen ziehen. Alle bildgebenden Verfahren zehren von dieser Täuschung. One moment in time. Was ist die kleinste Einheit? Sind Bilder Atome unserer Realitätsproduktion? Wir sind süchtig nach Bildern, weil sie uns fehlen = weil sie „unmöglich” sind. Jedes Bild impliziert eine unendliche Anzahl an
Nichtbildern. Nicht-ausgewählte Momente. Die Dinge jenseits des Ausschnitts. Das zeitliche Davor und Danach. Jedes Bild entsteht hierarchisch.
Ein Bild wertet, trennt die Welt auf in sichtbar und unsichtbar, wichtig und unwichtig. Seine Autorität baut auf den verbotenen, unterdrückten, unsichtbaren Bildern. Bild = Zensur Es gibt keine einsamen Bilder. Es gibt nur auserwählte. Jedes Bild hat eine Richtung, wird bestimmt von Interessen. Aber die Mischung aus Gelegenheit und Technik, Impuls und Absicht, Neugier und Zufall ist unentwirrbar. Wir kennen das Bild nicht, das wir produzieren, nicht bevor wir es sehen und auch nicht danach. Jedes Bild ist fremd und muss fremd bleiben – deshalb brauchen wir es. Wir sind nicht das Bild.
In der Historienmalerei erscheint die Vergangenheit als ein Gewebe entscheidender Augenblicke. Diese Rhetorik des Wendepunkts beherrscht bis heute unsere Bildproduktion. „Der Mantel der Geschichte…” Katja Stuke filmt Hinterköpfe, Mützen, Schritte, Blicke, Gesten: unwillkürliche, ungeführte menschliche Äußerungen. Ja, sie filmt. Sie benutzt Bewegtbildtechnologie, eine Videokamera, aber das ist zweitrangig. Mit „Filmen” ist eine Kategorie der Wahrnehmung gemeint, unabhängig vom Gerät. Es geht um einen Zustand, nicht um den Moment. Es geht um fortgesetztes Sehen – nicht um Wendepunkte.
In einem zweiten Schritt werden aus den Aufnahmen „Bilder”. Katja Stuke fotografiert Halbbilder, vom Monitor. Eine Methode von Gefühl und Verstand, Umarmung und Fingerzeig, Aufnahme und Wiedergabe.
Zum Flüchtigen gesellt sich die Analyse. Stuke hält den Fluss an, um etwas anderes zu sehen.
Unter den Bildern sind Filmszenen und Computerspiele. Warum fügen sie sich so nahtlos in die anderen Arbeiten? Haben sie nicht (andere) Autoren? Entstammen sie nicht einer Halbwelt, hergestellt, konstruiert, errechnet?
Katja Stuke reiht sie ein in unsere Wirklichkeit, weil sie dazugehören. Weil jedes Bild „nur” ein Bild ist. Diese Gleichsetzung der Fiktionen ist ein Affront gegen die von Authentifizierung besessene Fotografiegeschichte. Aus dem „ich bezeuge es” ist ein „es bezeugt sich” geworden. Ein Bild ist eine Unterscheidung, setzt also andere voraus. Nichts weiter. Zum Beispiel: Ein junger Japaner im Mantel…









